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Ballettabende 2022

Foto: David Heger


Ballettabend der Musikschule Waghäusel-Hambrücken: Herr Sumsemann auf der Suche nach dem verlorenen Bein.


Waghäusel. Einen Sumsemann erkennt man sofort: Denn während alle anderen Maikäfer sechs Beine besitzen, hat ein Spross der Familie Sumsemanns stets nur fünf. Das sechste Käfer-Beinchen kam einst einem Vorfahren der stolzen Maikäfer-Familie durch einen unglücklichen Zufall abhanden und ist auf dem Mond gelandet. Seither wird der Mangel weitervererbt – die Sumsemanns sind die Maikäfer mit dem fehlenden Bein. Erst, wenn ein Sohn der Familie zwei Menschenkinder findet, die bereit sind, mit ihm zum Mond zu fliegen, kann er das Beinchen zurückholen und so den Fluch bannen.


Soweit die verzwickte Ausgangslage in „Peterchens Mondfahrt“, jenem vor über 100 Jahren von Gerdt von Bassewitz abgefassten Märchen, das bis heute als Klassiker der Kinderliteratur gilt. Eine märchenhafte Unglückssituation – und zugleich Ausgangspunkt für eine rettende Reise voller Phantasmen, auf deren Weg das Tanzzentrum der Musikschule Waghäusel-Hambrücken fast 1.000 Zuschauer in der Wagbachhalle zu intergalaktischen Zaungästen hat werden lassen.


Wo das Märchen Herrn Sumsemann und seine Weggefährten selbst zu Wort kommen lässt, ist hier vor der meterhohen Sternenhimmel-Kulisse Tanz und Musik das Mittel zum Ausdruck. Unter der Leitung von Maria Schultz entstehen so zwei Ballettabende inszeniert von rund 200 Akteuren - die jüngsten gerade vier Jahre alt, „über das Alter der Ältesten schweigen wir“, scherzt Ballettlehrerin Schulz und lässt mit ihrer Antwort dennoch durchblicken: Auf dem Parkett vor der Sternenkuillisse wirbeln zwischen Pirouette und Cabriole die Generationen mit- und durcheinander. „Hier tanzt wirklich jeder“, sagt Ute Widdermann, stellvertretende Leiterin der Musikschule, sichtlich stolz über die Gemeinschaftsproduktion aller Tanzgruppen ihres Hauses.


Bindeglied der Generationen: Die Geschichte von „Freundschaft, Mut und Zuversicht“, wie Nachwuchstänzerin Leni Metzger das Märchen rund um die Reise zum Mond zusammenfasst. Den bewiesen auch die Mitwirkenden: Ursprünglich für die Weihnachtszeit geplant, konnte das Ballettstück pandemiebedingt erst jetzt zur Aufführung kommen.


Nun aber werden die Zuschauer Zeugen einer fein austarierten Choreografie: Wenn der entgegen der Märchenvorlage weit weniger tollpatschige als vielmehr elegante Sumsemann (Christina Leichmann) den Kindern Anneliese und Peterchen (Adriana Mula und Melanie Dörner) erst das Fliegen lehrt, bevor das Trio die Reise durch die planetare Vielfalt der Weiten des Himmels antritt, wechseln sich die zarte Darstellung von Sonne und Milchstraße mit der tänzerischen Interpretation von Kometen ab – in ihrem Niederprasseln vom Himmelszelt verkörpert durch drängende Hip Hop-Rhythmen. Die traumhafte Reise zum Mond – sie wird so auch zum Spiegel der Vielfalt des modernen Balletts.


Die bis dato heitere Himmelsfahrt endet abrupt, als es zum Kampf mit dem Mann im Mond, dem Noch-Besitzer des verloren geglaubten Käferbeins kommt. Der denkt – ausdrucksstark und raumfüllend inszeniert von Roger Kaiser, einem der wenigen Männer auf der Bühne an diesem Abend – nicht an die Rückgabe und wird schließlich zum treibenden Takt der Musik bezwungen. Als das Beinchen endlich – für die Ballettbühne wenig elegant – mit Spucke wieder an den Käferkörper geklebt wird und der Fluch gebrochen ist, gibt es für das Publikum kein Halten mehr – und für die Tänzerinnen und Tänzer stehende Ovationen.

David Heger (BNN)